«

»

Doc-Besuch mal anders

Ich war heute beim Arzt. An sich nichts besonderes, aber dank einer alten Dame wurde dieser Besuch für mich dann doch zu einem Erlebnis der besonderen Art 😉

Ich saß nun schon seit fast einer Stunde im Wartezimmer und machte das, was ich dann immer mache. Ich beobachte. Die Leute. Ihre Kleidung. Ihre Gestik. Ihre Mimik. Nein, ich lese keine Zeitschriften. Ich lese zwar supergerne, aber diese Illustrierten mag ich einfach nicht. Ein Buch nehme ich auch nicht mit, denn ich kann mich irgendwie in solchen Räumen nicht wirklich aufs Lesen konzentrieren. Also studiere ich. Die Leute eben.

Dann wurde ich aufgerufen und mußte mich auf einen Hocker im Flur setzen. Zwei Hocker standen zur Verfügung und ich nahm den rechten der beiden. Warum? Weil daneben direkt die Heizung ist und mir schon den ganzen Tag fürchterlich kalt war. Nun denn… bis dahin nichts außergewöhnliches oder?

„Aaaaah, Frau Müller-Lüdenscheid, da sind Sie ja! Setzen Sie sich doch bitte neben die andere Dame dort in den Flur“ hörte ich die Arzthelferin sagen. Frau Müller-Lüdenscheid kam direkt auf mich zu. Eine alte Dame. Wie ich später erfuhr, köstliche 82 Jahre alt.

Man lächelt sich an, nickt und gibt das Einverständnis, dass man sich wohl gut verstehen wird. So ganz allein am Ende des Flures. Die Türen zu den einzelnen Behandlungstüren standen offen. Drinnen warteten die Patienten auf den Doc.

Stille.

Räuspern.

„Also ich happ et ja anne Bandscheibe!!“

Mh… spricht sie mit mir? Ich schaue zur Seite und Frau Müller-Lüdenscheid schaut mich mit großen Augen an. Ich nicke, lächel und quetsche mir ein „Mh“ raus.

„Wissen Sie, normalerweise helfen ja so ganz altmodische Dinge wie Franz-Brannt-Wein! Den nehm ich sonst immer!! Aber diesmal gehen die Schmerzen einfach nicht weg!“

Ich lächle wieder.

„Ein Bekannter von mir, der hat das auch!! Aber nun gut… mit 82 darf man das ja auch mal haben oder? Wissen Sie, ich bin nämlich schon 82!“

Ich staune „Uih“.

„Aber trotzdem möchte ich natürlich nicht die letzten Jahre noch mit Schmerzen verbringen.“

„Natürlich nicht!“

Stille.

„Aber datt datt immer soooo lange dauern muss! Ich sitze hier immer Stuuuuuunden und dann bin ich nur 5 Minuten beim Doktor drin. Da ist doch irgendwas faul!“

„Ja nun, das ist hier leider immer so.“ Ich lächel.

„Bei meinem Hausarzt war das früher auch immer so! Aber DA geh ich nicht mehr hin!“

Lächel.

„Wissen Sie, da war ich nämlich neulich. Hab ne Urinprobe abgegeben!“

Mein Lächeln wird breiter. Hoffentlich erzählt sie jetzt nichts von einer Stuhl….

„Der Doktor hat mir dann auch direkt drei so Tüten mitgegeben. So für Stuhlproben!“

NEIN!!!! Das hat sie jetzt nicht gesagt oder????? In dem Behandlungsraum gleich neben den Hockern höre ich ein Räuspern. Kossi, nicht lachen, LÄCHELN!!!! Aber es fällt mir schwer. Ich beiße mir auf die Zunge. Hey, ich kann hier jetzt keinen Kossi-Lachkrampf kriegen!

Ich schaue nach links. Tapete. Nicht gemustert. Aber strukturiert. Sehr schön. Und weiß gestrichen. Ablenken Kossi.

„Na auf jeden Fall war ich nach dem Arztbesuch nebenan in der Apotheke.“

Ich nicke ihr zustimmend zu.

„Und als ich wach wurde lag ich auf dem Boden!!“

„Ach herrje, sind Sie ohnmächtig geworden?“

„Ja! Und wie!!!! Der Apotheker hat direkt meinen Arzt nebenan angerufen. Und wissen Sie was der Arzt gesagt hat?“

Ich weite meine Augen, ziehe die Augenbrauen hoch und zucke mit den Schultern.

„Der Apotheker soll mir ein Glas Wasser geben!! Stellen Sie sich das mal vor! Zum dem Arzt geh ich nieeeee wieder hin!!!! Das gibt Rache!!!!!“

Die alte Dame wird ganz rot im Gesicht. Mir wird warm. Nicht wegen der Heizung, sondern weil die Situation einfach zu komisch ist.

Kann mal jemand einen Tisch bringen, damit ich in die Kante beißen kann??

„Früher hab ich es nie an der Bandscheibe gehabt. Aber seit Jahren kommt das immer mal wieder! Weshalb sind SIE denn hier?“

„Ich habe eine Knochenentzündung im Arm!“

„Dafür ist auch Franz-Brannt-Wein gut!!!!“

Mensch, hätt ich das mal eher gewußt! Dann hätte ich mir glatt die zig Cortisonspritzen, Röntgenaufnahmen, Ultraschall- und Laserbehandlungen klemmen können!! 🙂

Ich schaue sie ungläubig an.

„Doch! Müssen Sie echt mal ausprobieren!!“

Wie war das mit der Tischkante? Ich lächel. Kann mich bitte mal jemand befreien? Die Arzthelferin geht an mir vorbei. Und lächelt auch. So mitleidig irgendwie.

„Früher habe ich mal normale Einlagen für die Schuhe bekommen. Aber heute sind das so komische Einlagen, die man festkleben muss. Da muss man sich ja ständig neue Schuhe kaufen!“

Kossi lächelt. „Mh.“

„Aber ´n Korsett hab ich mir jetzt auch verschreiben lassen!“

Nein danke, gegen meine Knochenentzündung hilft das mit Sicherheit nicht Frau Müller-Lüdenscheid 😉

„Das dauuuuuuert heute aber auch wieder. Was macht der Doktor nur so lange?“

„Mh… keine Ahnung. Ist sicher einfach nur viel los!“

„Na ja, zum Glück bin ich ja mit dem Auto hier und nicht auf einen Bus angewiesen!“

Sie streckt die Schultern und ein gewisser Stolz macht sich in ihrem bandscheibengeplagten Rücken breit.

„Sie fahren noch Auto????“ Ich bin entsetzt! Die Dame ist 82! 82!!!!

„Jaahaaaa! Schon über 40 Jahre! Und ich habe noch kein einziges Strafmandat bekommen! Über 40 Jahre!!“

„Boah, super!“

„Mein Sohn, der wohnt in Karlsruhe, will aber nicht, dass ich ihn noch mit dem Auto besuche. Bis vor ein paar Jahren hab ich das noch gemacht! Aber jetzt fahr ich immer mit dem Zug! Da muss ich nur ein einziges Mal umsteigen. In Essen!“

Grandios Frau Müller-Lüdenscheid, ich bin stolz auf sie… denke ich…. und lächel weiter.

„Einmal kam ich da an Gleis 2 an. Aber mein Sohn hat an Gleis 3 gewartet. Ich bin dann die Treppe runtergegangen und dann haben wir uns zufällig unten getroffen! Da war mein Sohn sehr erstaunt, weil er mich ja eigentlich an Gleis 3 erwartet hat!“

Der Doc kommt aus einem Behandlungsraum und geht in den nächsten. Ich nutze meine Chance. Meine Karte steckt schon in dem Kasten neben der Behandlungstür. Ich mein, es ist echt nicht so, dass die Dame mich genervt hat. Aber es ist schon sehr gewöhnungsbedürftig, sich solche Geschichten am Ende eines Praxis-Flures anzuhören. Immer in der Hoffnung, dass mich gerade niemand sieht, der mich kennt. Denn ich glaube, wenn jemand reingekommen wäre, der mich gekannt hätte, hätt ich sofort laut losgelacht.

„Oh, mein Raum ist gerade frei geworden! Auf Wiedersehen“ lächle ich Frau Müller-Lüdenscheid zu, stehe auf, gehe in den Behandlungsraum und setze mich dort auf den Stuhl.

„Herr Fischer-Oeldenthal, nehmen Sie doch schon mal auf dem Stuhl am Ende des Flures Platz“ höre ich die Arzthelferin sagen.

Und ja, Ihr könnt Euch´s sicher denken! Ich spitze meine Ohren.

Stille.

„Also, ich happ et ja anne Bandscheibe“ höre ich Frau Müller-Lüdenscheids Stimme auf dem Flur und ersticke meinen aufkeimenden Lachanfall in dem Moment, in dem der Arzt endlich den Behandlungsraum betritt.

Da ist es wieder! Das ganz alltägliche Leben! Und ich liebe es!!

1 Kommentar

  1. Yvonne

    Haha, sehr schöne Geschichte =)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich akzeptiere

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>