Irgendwann hatte mich einfach jemand dort abgesetzt. War ich es vielleicht sogar selber gewesen? Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern. Ich wusste auch gar nicht mehr, wie lange ich schon dort auf dem Barhocker sass. Einen Augenblick lang kam es mir wie eine Ewigkeit vor.
Ich sah mich um... an sich war diese Bar nicht anders als andere. Überall waren Regale angebracht, auf denen verschiedene Flaschen standen. Große Flaschen, kleine Flaschen, runde Flaschen, ovale Flaschen. Aber eins hatten sie alle gemeinsam. Sie waren mit sehr bunten Flüssigkeiten gefüllt. Was machte ich hier eigentlich?
Die Leute um mich rum drängten sich zur Theke hin und bestellten, als gäbe es am nächsten Tag keine Getränke mehr. Jeder wollte der erste sein und jeder wollte den besten Drink dieser Bar haben. Die Kellner hatten alle Hände voll zu tun und kamen mit dem Ausschenken kaum noch nach.
Die Gäste waren jung und alt, groß und klein, dick und dünn, schwarz und weiß. Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt wäre in dieser Wunder-Bar, dessen Name in großen Leuchtbuchstaben über der Theke hing, versammelt
Während ich die Menschen um mich rum beobachtete, stellte sich ein Kellner vor mich hin und fragte: "Bitteschön? Was darf ich Ihnen bringen?" Ich war ein wenig verwirrt, weil ich immer noch darüber nachdachte, wie die Flüssigkeiten in den Flaschen wohl schmecken würden. Ich schaute dem Kellner erst ins Gesicht, dann auf sein Namensschild. "Mr. Schicksal" stand darauf geschrieben. Auch das kam mir sehr komisch vor.
Ich fragte ihn: "Was können Sie mir denn empfehlen?" Er sagte nichts, lächelte mich nur an und drückte mir eine Getränkekarte in die Hand. Sie war genauso bunt wie der Inhalt der Flaschen, verziert mit weißen Wölkchen und einer gelben Sonne. Ich klappte die Karte auf und las....
"Sehnsucht"
"Träume"
"Verlangen"
"Liebe"
"Geborgenheit"
"Wunder"
Ich konnte mit all dem, was mir da jetzt gerade passierte, absolut nichts anfangen. Da es mir aber am interessantesten vorkam, entschied ich mich für das letzte Getränk auf der Karte, rief den Kellner herbei und sagte "Ein Wunder bitte". Der Kellner lächelte mich an und sagte: "Absolut kein Problem junge Frau".
Er drehte sich um, nahm fast alle Flaschen, die auf den Regalen standen, herunter und füllte von jeder bunten Flüssigkeit etwas in einen Shaker. Als dieser fast voll war, verschloss er ihn und schüttelte ihn kräftig durch. "Denken Sie an etwas schönes" sagte er mir und schaute mir dabei direkt in die Augen.
Ich schloss diese und dachte nach. Ich sollte an "was schönes" denken. Was war in meinem Leben denn im moment "schön"? Ich war zufrieden, ja. Aber war ich GLÜCKLICH? Hatte ich ALLES, was ich zum leben brauchte? Ja, ich hatte einen Mann und wir hatten gerade ein Haus gebaut. Aber warum fühlte ich mich dennoch so unausgefüllt? Ich wusste, dass mir irgendwas fehlte, aber ich hatte mir nie die Frage gestellt, WAS das eigentlich war.
Wann hatte ich mich das letzte Mal WERTVOLL gefühlt? Wann ist mir zum letzten Mal das Gefühl gegeben worden, WICHTIG zu sein? Wann wurde mir zum letzten Mal gesagt, dass ich eine TOLLE, STARKE Frau war? Diese Fragen kamen mir plötzlich in den Sinn. Eine genaue Antwort wusste ich nicht, ich wusste nur, dass diese Gefühle lange lange her waren. Fast in Vergessenheit geraten.
Also dachte ich einfach dran, glücklich zu sein, wie auch immer dieses Glück aussehen mochte, öffnete meine Augen wieder und erschrak. Ein riesiges Glas stand vor mir. Alle Farben dieser Welt waren in der darin befindlichen Flüssigkeit zu sehen. Der Inhalt dieses Glases kam einem wunderschönen Regenbogen nahe, den ich selten zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Das Glas war mit einer Zitronenscheibe verziert, die strahlte. Ja, sie strahlte Licht und Wärme aus, erhellte den ganzen Raum und mich durchfuhr eine Gänsehaut nach der anderen.
Der Strohhalm in dem Glas war himmelblau und wolkenlos. Er stand senkrecht in dem Glas, als wenn er allem Bösen dieser Welt trotzen wollte.
Ich schaute mich in der Bar um. Wo vorher noch viele Menschen um mich herum getuschelt und gelacht hatten, war plötzlich niemand mehr. Auch der Kellner war verschwunden. Ich war ganz allein und hatte dennoch das Gefühl, nicht einsam zu sein. Was passierte hier nur? Ich nahm den Strohhalm in den Mund und sog daran. Die Flüssigkeit berührte meine Zunge und ich nahm etwas Süßes war. Es schmeckte nach Gummibärchen und auch ein wenig Alkohol konnte ich rausschmecken. Es war der leckerste Drink, den ich in meinem ganzen Leben getrunken hatte.
Nach dem ersten Schluck schaute ich mich erneut um. Nichts war passiert. Ich war immer noch alleine, fühlte mich mittlerweile aber irgendwie beobachtet. Ich zuckte mit den Schultern, setzte den Strohhalm erneut an und trank das Glas dann leer.
Wieder streiften meine Blicke durch die Bar und wieder hatte sich nichts verändert. "Da hat sich wohl jemand einen Scherz mit mir erlaubt" dachte ich, bückte mich, um meine Tasche aufzuheben, die neben mir auf dem Boden stand und richtete mich dann auf. Ich schaute direkt in große blaue Augen.... mich durchfuhr ein Blitz, mir wurde schwindelig, übel aber gleichzeitig fühlte ich mich auch federleicht, geborgen und himmlisch glücklich....
Du reichtest mir ein Glas, dass mit einer feuerroten Flüssigkeit gefüllt war. Senkrecht darin stand ein ebenso roter Strohhalm. Auf dem Glas war "Liebe und Kraft" eingraviert. Du hörtest nicht auf, mir in die Augen zu schauen und sagtest dann ganz ruhig "Nimm einen Schluck... wir werden ihn gebrauchen können".
Ohne zu zögern trank ich von dem Liebestrank... und dann? Dann bist Du einfach passiert...........
Anmerkungen von Andrea Koßmann zur Kurzgeschichte:
Für C. und D. Das gesamte letzte Jahr hat mich nicht so sehr inspiriert, wie die letzte Woche in Eurem Leben.... ich weiß nicht warum, aber ich hab ein supergutes Gefühl bei diesem "Wunder" und wünsche Euch alles Glück der Welt! A.K.
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Für alle anderen: Es geht bei dieser Geschichte um eine Frau, die schon seit "Urzeiten" verheiratet ist und nun dennoch "Das Wunder der Liebe" neu erleben darf.... allerdings nicht mit ihrem Ehemann....und diese Frau gibt es tatsächlich ;-)