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RAUM RAUM
von Emma Donoghue
416 Seiten - Piper
ISBN: 3492054668
Meine Bewertung bei Amazon:

Kurzbeschreibung lt. amazon.de:

Auch seinen fünften Geburtstag feiert Jack in Raum. Raum hat eine immer verschlossene Tür, ein Oberlicht und ist zwölf Quadratmeter groß. Dort lebt der Kleine mit seiner Mutter. Dort wurde er auch geboren. Jack liebt es fernzusehen, denn da sieht er seine »Freunde«, die Cartoonfiguren. Aber er weiß, dass die Dinge hinter der Mattscheibe nicht echt sind – echt sind nur Ma, er und die Dinge in Raum. Bis der Tag kommt, an dem Ma ihm erklärt, dass es doch eine Welt da draußen gibt und dass sie versuchen müssen, aus Raum zu fliehen …


Meine Empfehlung:

Das ganze Leben in einem Raum ...

Ich sitze in einem Raum. Auf einem Stuhl, an einem Tisch. Es hängen Bilder an der Wand, die Tapeten sich farbig und ich kann das Licht ein- und ausschalten. Ich kann einen Kopfstand machen, wenn mir danach ist, ich kann lachen, ich kann weinen. Alles in diesem Raum. Aber das Schönste an diesem Raum ist ... die Tür. Die ich öffnen kann. Und schließen. Wann immer ich will und wann immer ich Lust dazu habe. Und genau das unterscheidet meinen Raum von dem des kleinen Jack, um den es in diesem berührenden Roman geht.

Ich gebe zu, dass ich zu Anfang des Buches Probleme hatte, in die Geschichte hineinzukommen. Der Schreibstil ist der eines 5jährigen Jungen, der in seinen fünf Lebensjahren nichts anderes kannte, als einen 12-m²-großen Raum, seine Mutter, die Gegenstände und Möbel in dem Raum, den Fernseher und 'Old Nick', den Mann, der ihm Angst macht. Der Mann, der abends mit einem Pieps-Code in den Raum eintreten kann, der ein paar Stunden bleibt und dann am nächsten Morgen wieder verschwunden ist. Der Mann, der ihnen einmal in der Woche einen 'Wunsch' erfüllt, in dem er ihnen ein 'Sonntagsgutti' gibt, welches mal eine 'Scherztablette' sein kann, oder auch mal ein kleines Täfelchen Schokolade.

Die holprige, gewöhnungsbedürftige Sprache erzeugte nach den ersten 50 Seiten auch irgendwann in mir den Wunsch, das Buch wieder beiseite zu legen. Ich verstand nicht, was die Autorin mir mit den Alltagsbeschreibungen des kleinen Jungen sagen wollte, die mir zu diesem Zeitpunkt noch mehr als nichtssagend erschienen. Doch dann machte es plötzlich 'Klick' und das Buch hat mich so in seinen Bann gezogen, dass ich in meinen Lesepausen fast ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich 'Ma und Jack' nicht beistehen konnte. Ich hatte das Gefühl, ich würde sie in RAUM alleine lassen. So, wie sie von der ganzen Welt alleingelassen wurden. Unfreiwillig. Gezwungen. Denn Ma wurde sieben Jahre zuvor entführt und in diesen Raum gesperrt, in dem sie zwei Jahre später Jack zur Welt brachte.

Es fällt schwer, den Fortgang der Geschichte weiter zu beschreiben, denn ich möchte dem Leser nicht den Hauch der Spannung nehmen, die mich letzten Endes in dieses Buch hineingezogen hat. Und dennoch müsste man eigentlich ein wenig mehr verraten, um die eigene Diskrepanz besser beschreiben zu können. Denn ich habe mich nach der letzten Seite gefragt 'Was ist besser? Ein Leben in nur einem Raum, wenn man es von Geburt an nicht anders kennt? Oder ein Leben in Freiheit, wenn plötzlich alles so unwirklich erscheint?' Natürlich entscheide ich mich eher für das Leben in Freiheit. Aber ich kenne es ja nun auch nicht anders. ICH weiß, im Gegensatz zu Jack, dass es 'eine Welt da draußen' gibt. Für ihn ist RAUM die Welt.

Bedeutend ist für mich auch die Tatsache gewesen, dass es ja im realen Leben wirklich Menschen gibt, die jahrelang in Keller, Schuppen oder auf Dachböden eingesperrt sind. Menschen, die von anderen Menschen vermisst werden und irgendwann als 'tot' erklärt werden. Menschen, die jahrelanger Folter und schrecklichem Missbrauch ausgesetzt sind. Gerade jetzt in dieser Minute wird vielleicht ein Kind geboren. Ein Kind wie Jack. In einem RAUM, der für das kleine Lebewesen die ganze Welt sein wird.

Diese Gedanken hatte ich beim Lesen dieses Buches ständig vor meinem inneren Auge. Ich hatte auch das Buch von Natascha Kampusch gelesen und sah ihren Raum beim Lesen. Und ich stellte mir auch vor, wie es Elisabeth Fritzl all die Jahre ergangen sein muss. Wenn sich diese schrecklichen Realitäten mit den Romananteilen dieses Buches vermischen, fängt das Herz an, sich zu verkrampfen und man fragt sich, warum Menschen in der Lage sind, SO ETWAS mit anderen Menschen zu machen. Es ist unvorstellbar. Genauso unvorstellbar wie das Leben des kleinen Jack, der uns mit Kinderaugen seine ganz eigene Realität erzählt. Schonungslos. Kindlich. Und genau das macht den Effekt aus, dass man als erwachsener Leser dem Schrecken mehr als einmal direkt ins Auge schaut.

Vielleicht hatte ich deshalb Schwierigkeiten, anfangs in die Geschichte hineinzukommen, weil ich mich nicht auf diese 'Einsamkeit' und Qual einlassen wollte. Vielleicht hatte ich Angst, iin einem RAUM eingesperrt zu sein, in dem ich mich nicht aufhalten wollte. Doch als die Tür einmal geschlossen war, konnte ich ohnehin nicht mehr raus und wollte das 'Abenteuer Leben' mit Jack und seiner Ma gemeinsam durchstehen und nicht nur der stille Beobachter sein.

Ein Roman, der dem Leser eine zeitlang einen eigenen kleinen RAUM bietet, in dem er innehalten sollte ... um sich glücklich schätzen zu können, in Freiheit zu leben.

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