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Splitterfasernackt Splitterfasernackt
von Lilly Lindner
400 Seiten - Droemer
ISBN: 3426226065
Meine Bewertung bei Amazon:

Kurzbeschreibung lt. amazon.de:

Lilly Lindner ist sechs, als der Nachbar beginnt, sie regelmäßig zu missbrauchen. Mit 13 Jahren fängt sie an zu hungern – damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Doch die Schande macht sie damit nicht ungeschehen. Und so beschließt Lilly als junge Frau, ihren Körper, der ihr längst nicht mehr gehört, in einem Edel-Bordell zu verkaufen...


Meine Empfehlung:

"Aber wenn ich Weintrauben esse, dann muss ich manchmal weinen ...

... Was für ein wunderschönes Wortspiel." Dieses Zitat ist nur einer der wunderschönen, nachklingenden und nachfühlenden Sätze dieses Buches. Wobei ich mich frage, ob es nicht schon fast eine Sünde ist, das Wort 'wunderschön' im Zusammenhang mit Lilly Lindners Lebensgeschichte zu verwenden.

Deshalb ist diese 'Rezension' auch keine Rezension im herkömmlichen Sinne. Denn wie kann ich über das Leben eines Menschen urteilen? Wie kann ich sagen, dass ein Buch wunderschön geschrieben ist, wo es doch um ein solch schreckliches Thema geht? Aber genau diese Diskrepanz ist es, die ich beim Lesen dieser Autobiografie erlebt habe. Es ist unglaublich, dass man die Erlebnisse der Autorin in einem Schreibstil wiederfindet, der zwar direkt und offen ist, aber dennoch soviele Sätze bietet, die es wert sind, mehrfach gelesen zu werden.

Als Lilly sechs Jahre alt ist, wird sie von einem Nachbarn vergewaltigt und genau das ist der Moment, in dem sie sich 'von ihrem Körper trennt'. Zu groß ist der Schmerz, der nicht nur körperlich ist, sondern vielmehr ihre Seele auffrisst. Sie hasst ihren Körper, gerät in die Magersucht, denn wenn sie dünn ist, ist es fast so, als wäre sie unsichtbar. Nicht mehr da. Weg. Weg von dieser Welt, in der ihr diese schrecklichen Dinge passiert sind. Und jetzt, wo sie keinen Körper mehr hat, der zu ihr gehört, kann sie ihn doch genauso gut verkaufen. Denn dann bekommt sie statt Schokolade wenigstens Geld dafür. So ihre Gedanken. Und so setzt Lilly es auch in die Tat um.

Sie arbeitet fortan in einem Bordell und der Leser bekommt das Gefühl, als würde sie sich dort zum ersten Mal in ihrem Leben auf eine bestimmte Art und Weise 'wohl fühlen'. Der Zusammenhalt mit ihren Kolleginnen, die Freundschaften, die sich daraus entwickeln, all das macht sie fast schon blind vor ihren eigenen Gefühlen. Aber alles ist besser, als den Schmerz zu fühlen. Und wenn sie ihn doch mal 'braucht', vielleicht um zu spüren, dass sie noch lebt, ritzt sie sich die Arme auf.

Ja, die Erlebnisse von Lilly sind schrecklich und doch konnte ich bereits nach der ersten Seite das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich wurde zur Weggefährtin. Zur Zuhörerin. Wenn alle Welt sie verlassen hat, dann war ich als Leserin an ihrer Seite und fühlte diese unheimliche Wut in mir. Die Wut auf den Peiniger, die Wut auf die Eltern. Gleichzeitig betörte mich Lilly Lindner aber auch mit ihrer wundervollen Art und Weise, ihre Gefühle und Gedanken in Worte zu kleiden.

An einigen Stellen dieses Buches musste ich weinen. Ein Satz, der mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird ist dieser: "Ich versuche, auf mich aufzupassen. Auch, wenn ich nicht weiß, wofür." Denn allein dieser Satz zeigt die Hoffnungslosigkeit in Lillys Leben, die Mutlosigkeit, die Angst.

Ich habe das Buch nun zwar zu Ende gelesen, doch bin ich noch lange nicht 'fertig' mit dem Leben von Lilly. Sie scheint mir so nah, so greifbar und ich würde sie gerne fragen, wie es ihr heute geht. Was sie macht. Wie sie lebt. Und vor allem, ob sie glücklich ist. Jeder Mensch hat es verdient, in seinem Leben glücklich zu sein. Doch SIE ganz besonders.

Eine Lebensgeschichte, die tief geht, lange wirken wird und gelesen werden sollte. Eingefasst in einen hellblauen Einband mit mehr als Worten darin ...

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